Hamburger Abendblatt vom 08. Oktober 2022

Sylt: Die Kluft zwischen Insulanern und Urlaubern überbrücke

Hamburger Abendblatt vom 08. Oktober 2022, Juliane Minow

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Sylt: Die Kluft zwischen Insulanern und Urlaubern überbrücken

Holger Thies hat einen Verein gegründet, in dem Sylter und Auswärtige aktiv werden können. Es geht ihm um ein besseres Miteinander.

Wenningstedt-Braderup.  

Wer Holger Thies dabei zuhört, wie er über seine Wahlheimat Sylt spricht, der kommt nicht umhin zu denken: Da liebt jemand seine Insel sehr. „Es gibt gutes Essen, es gibt die Natur, es gibt Watt und Brandung. Man kann es hier gut aushalten“, sagt der 59-Jährige. Gleichwohl habe die Insel seiner Einschätzung nach auch ihre Probleme: zum Beispiel eine Kluft zwischen Urlaubern und Insulanern. Auch unter der Corona-Pandemie habe das soziale Miteinander gelitten.

Beides, die Liebe zur Heimat und ihre Schwierigkeiten, sind Gründe, warum sich der Wenningstedter entschieden hat, aktiv zu werden. Gemeinsam mit Kai Müller, der auch stellvertretender Bürgermeister von Wenningstedt-Braderup ist, und Studentin Lana Benkhoff bildet er das Vorstandsteam des Dorfvereins „Üüs Terp“, der sich im Juli mit 27 Mitgliedern gegründet hat. „Unser Dorf“ heißt das übersetzt. Der Name ist Programm. Mittlerweile zählt der Verein für die Gemeinde Wenningstedt-Braderup über 100 Mitglieder. Das ist eine ordentliche Zahl für zwei Ortsteile, in denen offiziell 1600 Menschen wohnen. Inoffiziell sind es wahrscheinlich weniger, weil nicht alle Erstwohnsitzgemeldeten dauerhaft auf der Insel leben.

Sylt: Ein Verein, damit die Menschen wieder miteinander reden – statt übereinander

Thies selbst ist kein gebürtiger Sylter, aber seit über 30 Jahren fest mit der Insel verbunden. „Meine Frau kommt von hier. Ich bin Strandgut“, sagt er. Vor fünf Jahren hat das Ehepaar seinen Anker in Wenningstedt ausgeworfen. Der Ort liegt ihm am Herzen. Deshalb will er ihm mit dem Dorfverein neues Leben einhauchen, nachdem das soziale Miteinander in den vergangenen Jahren doch spürbar abgekühlt sei. Thies: „Wir versuchen die Insel mit ihren schönen Seiten zu bewahren und gleichzeitig auch weiterzuentwickeln.“

Über viele Jahre hätten er und seine Mitstreiter die Erkenntnis gewonnen, dass das dörfliche Leben Menschen braucht, die in Interaktion treten. „Das ist in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen, durch neue Medien, ausgestorbene Feste, Zuzug und Wegzug“, sagt Thies. Sein Eindruck: „Die Menschen haben mehr übereinander als miteinander gesprochen.“

„Wir wollen nicht klagen, sondern Dinge verändern“

Die Pandemie habe in den vergangenen Jahren dazu ihr Übriges getan. „Als Menschen gar nicht mehr rauskamen, ist die ohnehin schon vorhandene Vereinsamung weiter vorangeschritten. Das hätte ein Blinder sehen können.“ Nun ist Holger Thies aber niemand, der solchen Entwicklungen tatenlos zuschaut. Der 59-Jährige engagiert sich für das Leben und die Menschen um sich herum, ist in der Kommunalpolitik und im Denkmalschutz aktiv, hat ein Schiedsamt inne und vermittelt bei Konflikten. Deshalb war ihm auch in diesem Fall klar: „Wir müssen etwas tun, damit die Menschen wieder zusammenkommen.“ Gesagt, getan.

In einer gemeinsamen Runde, der auch Kai Müller angehörte, trafen die Beteiligten die Entscheidung, einen Verein zu gründen, um das Miteinander zu stärken. Thies: „Wir wollten nicht darüber klagen, was alles nicht ist, sondern das gemeinsam verändern.“ Dass die Resonanz gleich zu Beginn so groß war, über 100 Menschen Mitglied werden wollten, das freut den Insulaner. Ebenso wie die Tatsache, dass er sehr heterogen ist.

Der Verein bringt Sylt-Urlauber und Inselbewohner zusammen

„Wir sind auch nicht nur ein Verein für alle Menschen im Dorf, sondern auch für alle, die sich dem Dorf verbunden fühlen“, sagt Thies. Damit sind ganz ausdrücklich auch Urlauber gemeint, die nicht auf Sylt leben, aber regelmäßig dort Urlaub machen. Ungefähr die Hälfte der Mitglieder lebt nicht dauerhaft auf der Insel. Das jüngste Mitglied hat gerade Abitur gemacht, das älteste ist über 80 Jahre alt. Insofern möchte der Verein ausdrücklich auch Brücken zwischen Insulanern und Urlaubern schlagen.

Denn auch hier hat die Insel Nachholbedarf, findet Thies: „Ich denke schon, dass es teilweise eine Kluft gibt, zum Beispiel wenn es um die Verteilung von Wohnraum geht. Ich hatte das auch Gefühl, dass gerade während Corona Menschen, die nicht von hier kamen, besonders argwöhnisch begutachtet wurden.“ Ob es auch Diskrepanzen zwischen Urlaubern, zwischen Hamburgern und Westfalen oder Berlinern und Hessen gibt, vermag Thies nicht zu beurteilen. Darum geht es aber auch nicht. So oder so: Der Verein möchte für alle da sein.

Sylt: Alle sollen sich einbringen – ob Sylter oder Auswärtige

Im Verein, hofft er, können sich alle mit ihren Interessen und Fähigkeiten einbringen – ob es darum geht, ein örtliches Carsharing ins Leben zu rufen, ein Sommerfest zu veranstalten oder den Spielplatz zu erneuern. Der Dorfverein an sich ist zwar unpolitisch, soll aber auch Bindeglied zu Politik, Verwaltung, Kirche oder sozialen Institutionen sein und die Interessen der Menschen vertreten.